Beitrag von Rüdiger Schmolke, Fachreferent für Beratung und Prävention
Die neuen Eckpunkte der Bundesregierung
Der Bundesgesundheitsminister macht deutlich, dass die geplante Neuregulierung von Cannabis erheblich zum Kinder- und Jugendschutz beitragen werde. Ein Gesetzesentwurf liegt noch nicht vor. Schaut man sich die vorgesehenen Regelungen beim Jugendschutz (die bereits 2022 definiert wurden und auf die im erneuerten Eckpunktepapier vom 12.04.2023 verwiesen werden), bleiben jedoch dazu noch viele Fragen offen.
Vorweg: Das eigentliche Vorhaben der Ampelregierung war es, eine vollständige Legalisierung von Produktion und Vertrieb von Cannabis zu Genusszwecken für Erwachsene zu erreichen. Bei gleichzeitigen (insbesondere im Vergleich mit den US-Staaten, in denen schon heute Cannabis quasi-legalisiert ist) sehr restriktiven Beschränkungen. Angesichts der jetzigen Kriminalisierung junger Menschen und der daraus entstehenden Unglaubwürdigkeit der Präventionsbemühungen (insbesondere bei den eh schon schwerer zu erreichenden intensiv Konsumierenden), war dies sehr zu begrüßen. Schon 2015 hatten sich die Berliner Suchthilfeträger unter dem Dach des Paritätischen auf eine solche Position pro Legalisierung für Erwachsene geeinigt – und gleichzeitig betont, dass die Unterstützungsangebote deutlich ausgebaut werden müssen, “…insbesondere [für] sehr junge Menschen, die häufig und dauerhaft konsumieren.”
“Massive” Aufklärungs-Kampagne angekündigt
In Form von Beitragsdebatten wie dieser [DER SPIEGEL] kündigt Lauterbach immerhin eine “riesige” Aufklärungskampagne zu Cannabis an. Wenn diese nicht ‘fancy’-anbiedernd oder altbacken-abschreckend, sondern inhaltlich seriös konzipiert ist und dabei trotzdem eingängig fokussierte Botschaften zur (Selbst-)Reflexion, Schadensminderung und zu Unterstützungsangeboten in den Vordergrund rückt, kann dies gesamtgesellschaftlich und speziell für Jugendliche durchaus dazu beitragen, ein faktenbasiertes und ausbalanciertes Bild zu den Cannabis-Risiken zu vermitteln. Wo das hierzu nötige Geld kommen soll, bleibt bislang allerdings völlig unklar – der Haushaltsentwurf für 2023 sah für die kommenden Jahren sogar eine Verringerung der Bundesmittel für Suchtprävention vor.
Aus der Präventionsforschung ist zudem seit langem auch bekannt: Auch gut gemachte Kampagnen machen allein nie einen großen Effekt auf das Konsumverhalten aus (vgl. Bühler/Thrul 2013, S.58). Auch bei hoher öffentlicher Sichtbarkeit der Aufklärungskampagne werden dadurch allenfalls diejenigen (noch) weniger konsumieren, die eh zu vorsichtigem Konsum neigen, über ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit verfügen und daher auch kaum Unterstützung von außen brauchen, um einen selbstkontrollierten Konsum zu erlernen.
Interventionen
Cannabisbesitz soll künftig nicht mehr dem BtMG unterstellt sein. Wenn Jugendliche Cannabis besitzen, soll also künftig kein Strafverfahren mehr drohen. (Anders wird es bei Weitergabe und vor allem beim gewerbsmäßigen Verkauf aussehen – dazu wissen wir hoffentlich mehr, wenn der Gesetzesentwurf vorliegt.) Das Umsteuern vom Strafrecht auf den Jugendschutz ist ein wichtiges und richtiges Zeichen. Doch wie sieht der Jugendschutz dann künftig konkret aus?
Im Eckpunktepapier 2022 wurde bereits beschrieben, welche Art der Intervention im Sinne des Jugendschutzes greifen soll: “Eine geeignete Behörde wie z.B. das Jugendamt kann Minderjährige bei Besitz zu einer Teilnahme an einem Frühinterventions- oder Präventionsprogramm verpflichten.” Ein flächendeckendes System wie obligatorische Kurse bei klar kommunizierten Verstößen (ggf. bei Überschreitung einer sehr geringen Menge) erscheint grundsätzlich denkbar, zumal es Frühinterventions-Programme für Cannabis ja bereits gibt – wenngleich sehr unterschiedlich angewandt. Effekte, von denen dann die Jugendlichen selbst profitieren, sind allerdings nur dann zu erwarten, wenn die durchführenden Fachkräfte über das notwendige Know-how in Sachen Cannabis, jugendliche Lebenswelten, interaktivem Arbeiten und Umgang mit Gruppendynamiken verfügen. Selbst dann muss aber klar sein: Reflexion und nachhaltige Veränderung im Sinne einer Selbstverantwortung und -fürsorge gelingen nie alleine durch von außen oktroyierte Maßnahmen mit Zwangscharakter. Zusätzlich braucht es unbedingt auch für Jugendliche und junge Erwachsene attraktive Module zur Aneignung von Lebens- und Konsumkompetenz. Auch dies steht und fällt mit entsprechend ausgebildeten Fachkräften.
Ein Schlüssel hierzu könnte der Einbezug und Ausbau des (seit der Reform der Jugendhilfe entwicklungsfördernd angelegten) Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes nach §14 SGB VIII sein. Allerdings: Genau dieser Jugendhilfebereich wurde vor dem Hintergrund der klammen Kommunen in der Vergangenheit systematisch ausgedünnt, während sich der Bund schon länger als hierfür nicht zuständig erklärte. Daher auch hier: Derzeit mehr Fragezeichen als eine hoffnungsfrohe Perspektive.
Was aber, wenn die Jugendlichen einfach nicht zu einem zwangsauferlegten Kurs auftauchen? Und die Eltern daran (und an der Durchsetzung des Cannabisverbots für ihre minderjährigen Kinder allgemein) nicht mitwirken? Dazu wird auf “…familiengerichtliche Maßnahmen gem. §1666 BGB gegen die sorgeberechtigten Eltern…” verwiesen. Eine notwendige, im Ganzen auch sinnvolle Kanalisierung, die aber die Lückenhaftigkeit des bestehenden Systems deutlich macht. Denn die Schwelle zu einem Eingriff durch die Familiengerichte ist denkbar hoch gelegt. Vermutlich werden künftig (wie bisher auch) solche Ansprüche allein gegen Eltern durchgefochten, deren Kinder von hochkomplexen Problemlagen betroffen sind. In eine noch größere Schieflage könnten dabei zudem die Jugendämter geraten, bei denen künftig nochmals ein großer Schub an Problemanzeigen eingehen könnte, ohne dass sie über adäquate Ressourcen und Vermittlungsmöglichkeiten verfügen.
Was müsste also passieren?
Zusammen mit anderen Berliner Suchthilfe-Trägern haben wir im in einem Positionspapier bereits 2015 notwendige strukturelle Weiterentwicklungen deutlich gemacht – darunter auch einen Stellenaufwuchs speziell zur Cannabisprävention und -intervention. Damit und mit weiteren spezifischen Angeboten bestünden gute Chancen, der mit absoluter Sicherheit weiter steigenden Nachfrage der Träger der Jugendhilfe (das sind neben den zahlreichen freien Trägern auch die Jugendämter) nach Beratung (auch für Angehörige und ganze Familien), Konsumreduktion, Fallberatung und Fortbildung nachzukommen.
Dann könnte es schrittweise auch gelingen, zumindest landesweit zu klaren (prozessorientierten) Regelungen zur Intervention zu kommen (Orientierungen für die Jugendhilfe liegen hierzu bereits vor).
Daneben wäre ein noch weitgehend brachliegendes Schlüsselfeld unbedingt auszubauen: Die Stärkung des proaktiven Kinder- und Jugendschutzes, der zugehend arbeitet, Angebote macht und in Hilfen vermittelt. Und dabei klar macht, dass es sich um wichtige Lernangebote, nicht um Strafen für Jugendliche handelt.
Die Kolleg*innen von drugcom.de demonstrieren seit langem, wie gute mediale Aufklärung geht: In einer Kombination von evidenzbasierten Informationen, Möglichkeiten zur Selbstreflexion und dem digitalen Stopp- und Reduktionsprogramm “Quit the Shit”. Bislang allerdings ohne ausreichende Mittel, um die wichtigsten Cannabis-Botschaften auch in die “Mitte der Gesellschaft” zu bringen. Aufgabe der Zukunft muss es daher auch sein, solche Angebote viel stärker als bisher in Familien bekannt zu machen und die Suchtprävention und -hilfe viel enger als bislang mit der Jugendhilfe zu verzahnen.
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