Beitrag von Thomas Luthmann, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Corona ist kein Thema mehr. Doch die Situation von Sexarbeitenden hat sich in Berlin kaum verbessert. Statt dessen sind andere Problemlagen in den Vordergrund gerückt. Das ist die zentrale Botschaft, die wir den Abgeordneten der Bezirksverordnetenversammlung Mitte in den Gesundheitsausschuss mitbrachten. Grundlage war die Auswertung von Daten unseres Frauentreffs „Olga“ aus dem Jahr 2022. Der Kontaktladen befindet sich direkt am Geschehen in der Kurfürstenstraße und hat bereits seit 1987 umfangreiche niedrigschwellige Hilfen für Sexarbeiterinnen im Angebot. Zuletzt versorgte er in der Einrichtung und in der Straßensozialarbeit rund 70 Frauen pro Tag.
Allerdings stellen auch die Kolleginnen des „Olgas“ fest, dass sich die Bedingungen und die Szene zuletzt stark verändert haben. Erschwerten den Frauen ab 2020 vor allem die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen die Arbeit, dominieren jetzt andere Herausforderungen. Wie ein Blick in den Kiez rund um die Kurfürstenstraße zeigt, ist die Gentrifizierung auch hier in vollem Gange. Der Lückenschluss und zunehmende Nutzerkonflikte erschweren den Sexarbeiterinnen die Arbeit. Wohnungslosigkeit, Analphabetismus, Traumatisierungen und Substanzkonsum tun ein Übriges dazu.
Daneben haben sich auch die Konsummuster verändert. Zu den bevorzugten Substanzen gehören nunmehr Metamphetamine wie Crystal Meth. Sie machen nicht nur schnell abhängig, sondern verstärken auch psychische Erkrankungen. Laut unseren Daten sind im „Olga“ derzeit rund 75% der Frauen psychisch auffällig. Der Bedarf an psychischen oder psychiatrischen Hilfen ist somit enorm gestiegen. Fehlende finanzielle Mittel für entsprechende Angebote und der oft nicht vorhandene Krankenversicherungsschutz machen es hier aber kaum möglich, adäquate Unterstützung anzubieten. In unserem „Olga“ macht sich das unter anderem darin bemerkbar, dass wir jeden dritten Tag einen Vorfall haben, der den üblichen Rahmen sprengt und im Bedarfsfall auch von der Polizei begleitet werden muss.
Ähnliche Eindrücke und Erfahrungen schilderten auch die Kolleg*innen vom „Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung“ sowie von Subway Berlin, die ebenfalls vor dem Ausschuss über die Lage der Sexarbeiterinnen in Berlin berichteten.
Der Status quo muss aber nicht so bleiben. Es gibt Stellschrauben, mit denen Politik und Verwaltung die Situation der Sexarbeiterinnen verbessern können. Dazu gehört das Bekenntnis zu weiteren niedrigschwelligen Hilfen und vor allem ein vereinfachter Zugang zu Krankenversicherung, Leistungsbezug oder Wohnraum. Und nicht zuletzt: Sicherheit in Raum- und Personalfragen für soziale Träger. Denn das ist die nächste unbequeme Wahrheit. Auch sie sind vom Verlust ihrer Räumlichkeiten sowie vom Fachkräftemangel betroffen.
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