11 Lesetipps für den Sommer

Das gehört ins Reisegepäck

11. Juli 2023

Sommerzeit ist Urlaubszeit ist Lesezeit. Denn erst ein gutes Buch macht den Urlaub perfekt. Egal, ob am Strand, in den Bergen oder anderswo. Das sehen nicht nur mehr als 60% aller Deutschen so. Das scheint auch bei uns im Notdienst mehrheitsfähig.

Doch welche Titel gehören ins Reisegepäck – angesichts der etwa 70.000 Neuerscheinungen jedes Jahr? Unsere Kolleg*innen haben einige Ideen zusammengestellt:

Oscar Wilde: „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“

Ich empfehle „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ von Oscar Wilde – das wohl schönste Plädoyer für die Freiheit des Menschen, das ich jemals gelesen habe. Beeindruckt hat mich der Scharfsinn, mit dem Wilde die Zumutungen der kapitalistischen Gesellschaft auf Korn nimmt. Gleichzeitig warnt er schon 1891 vor einem kommunistischen „Industriekasernensystem“, das dann später unter Stalin verwirklicht wurde.

Genuss bringt auch die antiquierte Sprache, die ganz im Gegenteil zu heute Formulierungen enthält, bei denen gewiss nicht darauf geachtet wurde, niemanden auf den Schlips zu treten. (Nils Feilberg, Drogennotdienst)

Bret Easton Ellis: „The Shards“

Der einstige Skandalautor Bret Easton Ellis, der die Literaturwelt in den 1990er Jahren mit „American Psycho“, seinem Over-The-Top-Gewaltexzess im Yuppie-Gewand, nachhaltig verstörte, meldet sich mit einem autofiktionalen Coming-Of-Age-Thriller zurück.

Die Handlung ist im L.A. des Jahres 1981 angesiedelt. Wie so oft bei Ellis, geht es vorrangig um junge Menschen, die reich, begehrt und innerlich vollkommen abgestumpft sind. Sie fahren in ihren Sportwagen durch Villenviertel, sind meistens auf Stoff und plagen sich mit gewöhnlichen High-School-Problemen herum. Im Hintergrund entfaltet sich währenddessen eine weitere Geschichte, die das Denken und Fühlen der Figuren mehr und mehr zu beeinflussen beginnt. Dabei geht es um einen geheimnisvollen Serienkiller, der Menschen (und ihre Haustiere) rituell hinrichtet und kein klares Muster oder Motiv erkennen lässt.

Die Vermengung von vergifteter Nostalgie und brachialer Kriminalgeschichte erzeugt den berüchtigten Sog, der einen Roman beim Lesen zum Erlebnis macht. Durch die oft alltäglich anmutenden Gedanken- und Handlungsschleifen des überwiegend krisenhaften Ich-Erzählers ist man sehr nah an der Figur, was oft faszinierend und quälend zugleich ist. Wer sich auf diesen abgründig-glamourösen Genre-Mix von bemerkenswert atmosphärischer Dichte einlassen möchte und dabei nicht zimperlich in Bezug auf explizite Darstellungen von Sex und Gewalt ist, könnte mit „The Shards“ viel Spaß haben. (Merlin Handrick, Alkohol- und Medikamentenberatungsstelle)

Juli Zeh: „Über Menschen“

Ich habe „Über Menschen“ sehr gerne gelesen. Wegen der bildhaften Sprache von Juli Zeh. Für mich sind die ersten Sätze eines Buches entscheidend und diese haben mich sofort eingefangen. Die Atmosphäre, die in der Geschichte aufgebaut wird, ließ mich zur „Entdeckerin“ werden. Ich fühlte mich in die Erzählung einbezogen, mitgenommen. Außerdem fand ich den Gegenwartsbezug sehr interessant. Er war ein Anstoß, über bestimmte Gesellschaftsphänomene neu und anders nachzudenken.

Für mich eine absolute Bereicherung. Keine leichte Kost. Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einem anregenden Lesevergnügen belohnt. (Angelika Horn, Betreutes Wohnen Turmstraße)

Hengameh Yaghoobifarah: „Ministerium der Träume“

Was den Roman für mich auszeichnet, sind die Themen, die er verhandelt. Und natürlich wie er dies tut. Hier einige Stichworte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Migration, Rassismus, systematische Diskriminierung von Minderheiten, Sexismus, alternative Lebensentwürfe, das Verhätnis von Subkulturen zum Mainstream sowie Erwachsen werden, Familie, Trauer, Freundschaften und Liebe. Beileibe nicht wenige, doch Hengameh schafft es, all diese Themen miteinander zu verweben und dabei auch noch zu unterhalten. Es stecken zahlreiche Überraschungen in dem Roman. Keine ist enttäuschend. (Iris Kraft, tageswerkstatt)

Katja Lange-Müller: „Böse Schafe“

„Soja verliebt sich im West-Berlin der achtziger Jahre in den drogenabhängigen Ex-Sträfling Harry und versucht ihm zu helfen, sein Leben in den Griff zu bekommen (…) Trotz seiner Schweigsamkeit gibt Harry einiges preis: nach einem Raubüberfall zehn Jahre im Knast, auf Bewährung draußen, Bewährungsauflagen verletzt, weil Drogentherapie abgebrochen, angewiesen auf neue Maßnahme, sonst umgehende Inhaftierung. Und das bringt Soja nicht gegen ihn auf, sondern auf Trab: Sie organisiert eine neue Therapie, verpflichtet ihre wenigen Freunde zu einer lückenlosen Begleitung und ignoriert doch alle Indizien dafür, dass Harry ihr manches verschwiegen hat.“ So die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken. 

Ich empfehle dieses Buch aus zwei Gründen: Zum einen ist es ein Stück Zeitgeschichte der Suchthilfe. Zum anderen gibt es einen interessanten Einblick in die Beziehungsdynamiken einer „Angehörigen“, der einiges verständlicher macht. (Katharina Martell, Drogennotdienst)

Agustina Bazterrica: „Wie die Schweine“

In einer nicht allzu fernen Zukunft ist Tierfleisch aufgrund eines Virus für den Menschen giftig geworden. Auch mit dem Obst und Gemüse scheint etwas nicht in Ordnung zu sein. So muss (?) ein Teil der Bevölkerung legal, ethisch-legitimiert und industriell als Schlachtvieh gezüchtet, verarbeitet und zum Verzehr in Supermärkte und Metzgereien geliefert werden.

Warum lesen? Wir begeben uns mit dem Protagonisten auf eine schwer zu ertragende und zugleich fesselnde Reise zwischen Mitläufertum und Widerstand. Wie wird sich die Hauptfigur schlussendlich entscheiden? stellt sich uns zunehmend die Frage, während wir von Seite zu Seite blättern und zeitgleich zum Nachdenken über Massenproduktion, Konsumismus und Menschlichkeit gezwungen werden. (Arthur Coffin, LogIn)

Gregory Roberts: „Shantaram“

Ein autobiografischer Abenteuerroman mit Tiefgang. Der Protagonist, ein ehemaliger Heroinkonsument, ist auf der Flucht vor Interpol, landet in Mumbai und erlebt… viel! Das Buch ist nicht für Backpacker und Ryanair-Handgepäck-Fluggäste geeignet, da über 900 Seiten. (Lonneke Schmidt-Bink, Frauentreff Olga)

Dörte Hansen: „Zur See“

Mein Buch des Monats. Dörte Hansen schreibt über eine Familie, die auf einer kleinen Nordseeinsel lebt. Mit wechselnden Perspektiven greift sie verschiedene Sichten auf Kultur, Psyche und Lebensstile auf. Der Blick von Inselbewohnern auf die lokale Touristik, den Kapitalismus und die Anpassungsleistung, die Ansässige leisten (müssen), ließ mich immer mal wieder mein eigenes Verhalten reflektieren. Ein modernes Buch, mit schöner Sprache. Lässt sich gut mitnehmen und liest sich leicht weg. (Christina Bressel, ESCAPE)

Ronald Keith Siegel: „Rauschdrogen. Sehnsucht nach dem künstlichen Paradies“

Eine Empfehlung aus vollster persönlicher Überzeugung: Siegel, amerikanischer Psychopharmakologe und leider schon tot, liefert in diesem Buch eine Natur- und Kulturgeschichte sämtlicher psychoaktiver Substanzen ab, endend mit einem drogenpolitischen Statement, dass nur in einem Teil Nordamerikas eine Chance hat. Allerdings nicht in seinem, sehr wohl aber beim Nachbarn…

Der Autor hat eine kaum überschaubare Menge spannender Themen aufgegriffen, schrieb u.a. auch über Halluzinationen und Psychosen, immer hochkompetent, in fesselnden Geschichten (Oliver Sacks nicht unähnlich). Er erweist sich als großartiger Schreiber, unterhaltsam und sprachlich ein Genuss! (Bernd Westermann, Referent für Projektentwicklung und Fortbildung)

Marietta Slomka: „Nachts im Kanzleramt“

In Zeiten, da unsere Demokratie dauerhaft unter Beschuss steht, das gesellschaftliche Klima unversöhnlich polarisiert wirkt und urdemokratische Prinzipien – man könnte auch sagen: Selbstverständlichkeiten – zunehmend in Frage gestellt werden, kommt dieses Buch gerade richtig. Slomka stellt das politische System der Bundesrepublik dar. In all seinen Dimensionen, vom Wahlrecht und den Parteien über Wirtschaft und Europa bis hin zu den Medien. Der Zugang ist dabei bewusst niedrigschwellig gewählt, auch der Sprachduktus. Slomka gibt „die große Erklärerin“.

„Nachts im Kanzleramt“ eignet sich damit für Einsteiger ebenso wie für „Auffrischer“. Und ist auch als Hörbuch zu haben, von Slomka selbst gelesen. Das hört sich dann an wie eine extralange Sondersendung des ZDF heute journals und macht gleich noch mehr Spaß. (Thomas Luthmann, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)

Rutger Bregman: „Im Grunde gut“

Was sich gut verkauft, ist nicht immer besonders schlau und erkenntnisreich. Anders bei Rutger Bregman, der in vielen interessanten (und unterhaltsamen) Anekdoten der Menschheitsgeschichte ein Grundmotiv (wieder-) entdeckt: Menschen streben nach wohlwollender Gemeinschaft. Und sind dafür auch bereit, einen guten Teil ihrer eigenen Interessen zurückzustellen. Das stimmt optimistisch, ohne dabei zu romantisieren. Und stärkt die Motivation für das Soziale in unserer Arbeit. (Rüdiger Schmolke, Fachreferent für Beratung und Prävention)

Hinweis der Herausgeber*innen: Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln die Meinungen der Autoren und Autorinnen wider.
Sie repräsentieren nicht unbedingt die Ansicht des Herausgebers.

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