Beitrag von Bernd Westermann, Referent für Projektentwicklung und Fortbildung
Dienstag, 11. Juli 2023, 11:30 Uhr: Eine beachtliche Trauergemeinde versammelt sich vor der Kapelle des Luisenkirchhofs am Fürstenbrunner Weg. Nicht weit entfernt befindet sich das Praxiszentrum Kaiserdamm, Jörg Gölz wohnte schräg gegenüber. Aus seiner Wohnung holte ich ihn im Herbst 2022 ab zu einem Spaziergang rund um den von ihm geliebten Lietzensee.
Wir hatten einiges zu besprechen, vor allem Inhalt und Richtung eines Artikels, den ich mir von ihm wünschte. Nach unserer herrlichen herbstlichen Parkrunde war alles klar. Und wieder einmal lieferte Jörg pünktlich und Qualität! Der Artikel, vielleicht sein letzter, ist veröffentlicht in der doppelten Sondernummer von „Rausch. Wiener Zeitschrift für Suchttherapie“. Auch in der 2018 von mir herausgegebenen Sondernummer zum Kolloquium zu Ehren von Chaim Jellinek war Jörg vertreten. Themenschwerpunkt des Heftes, ein Anspruch, der uns mehr als zweieinhalb Jahrzehnte verband: „Substitutionstherapie als Integrierte Versorgung“.
Ich hatte die Freude und Ehre, Jörg ziemlich oft als Redner und Mitautor gewinnen zu können, danke nochmals! Wer den furiosen Rhetoriker Jörg Gölz nur ein Mal erlebt hat, seinen Ideenreichtum, seine Ironie, feine Klinge, sein überschäumendes Engagement, wird das kaum vergessen. Als engen Kooperationspartner durften ihn einige Notdienst-Mitarbeitende kennenlernen, seine Verbindlichkeit, seine Spritzigkeit, seine Warmherzigkeit. Der Notdienst-Blumenstrauß, den ich mitbrachte, war natürlich der schönste von allen.
Zurück zum Kirchhof: Unter den ca. 250 Trauernden, Angehörige und Freunde sowie das Who is who der Berliner Substitution, befinden sich auch einige „Auswärtige“. Die Drogenhilfe der Stadt ist eher übersichtlich vertreten, die Politik (für mich) unsichtbar… Viele sehen einander nur noch sehr selten, hauptsächlich auf Beerdigungen… Aber man kommt schnell ins Gespräch, knüpft nahtlos an, wo man Jahre zuvor zusammen war… Es wird viel gelacht, das hätte Jörg sich gewünscht.
Fast zwei Stunden dauert die sehr würdige, viele Erinnerungen weckende, sehr persönliche Gedenkrede, auch diese mit vielen witzigen Anekdoten gespickt. Doch natürlich geht es auch sehr ernsthaft um die großartigen Leistungen von Jörg, im Ergebnis seiner eigenen spannenden Geschichte. Der nun Tote hat vielen das Leben gerettet, als Vorreiter der Substitutionsbehandlung, einer der (Ehren-) Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, als herausragender Infektiologe, als politischer Mensch, als konsequenter Humanist. Sein „Bundesverdienstkreuz am Bande“ habe ich ihn nie tragen sehen, wahrscheinlich hätte er Witze darüber gemacht. Aber wer, wenn nicht er, hat es verdient!?!
Ich bin und bleibe sehr dankbar, dass ich ihn kennenlernen und ihm sehr nah sein durfte. In der plötzlich einsetzenden Stille der Kapelle beginnt das von Jörg selbst festgelegte Musikprogramm (die Zeit und den Willen hatte er noch): von CCR’s „Who stopped the rain“ bis hin zu Meat Loaf’s „ I ´d do Anything for love, but I won´t do that“. Verrückte Stimmung. Danke, Jörg!
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