Beitrag von Thomas Luthmann, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit .
Ein Donnerstag-Vormittag. Die Fegeflotte ist wieder im Einsatz. Fünf Teilnehmende, jede*r von ihnen früher Drogengebrauchender, durchkämmen den Schöneberger Norden und Teile von Mitte nach Konsumhinterlassenschaften. Zwei- bis viermal in der Woche machen sie das. Seit 2019 bereits. Um die Straßen von gefährlichem Unrat zu befreien und die Kieze sauber zu halten. So ist es mit den Kostenträgern der Maßnahme, den Bezirksämtern Tempelhof-Schöneberg und Mitte, vereinbart.
Ein Gewinn für alle Seiten: Die Teilnehmenden erhalten eine kleine „Mehraufwandsentschädigung“, mit der sie ihre oft kargen Einkünfte aufstocken; die Anwohnenden finden sauberere Kieze vor; und die öffentlichen Kassen werden entlastet, weil die Leistung nur einen Bruchteil dessen kostet, was in eine regelmäßige, professionelle Reinigung fließen würde.
Heute darf ich mir ein eigenes Bild von der „Fegeflotte“ machen. Mit der tageswerkstatt, an die das Projekt angebunden ist, ist vereinbart, dass ich die „Fegeflotte“ einen ganzen Einsatz lang begleite und natürlich auch mit anpacke. Der Besuch ist von langer Hand geplant und angekündigt. Doch als ich um 9.00 Uhr auf dem Hof der Einrichtung eintreffe, schlägt mir zunächst Zurückhaltung entgegen. Die Teilnehmenden wissen nicht so ganz, was sie von dem „Pressetypen“ halten sollen.
Die meisten von ihnen haben schlechte Erfahrungen mit den Medien gemacht. Sie haben das Gefühl, dass Menschen mit Suchtproblemen immer gleich dargestellt werden. Als charakterschwach, als Menschen, denen es an Disziplin mangelt, an Willen und Ehrgeiz. Kurzum: Als Menschen, die an ihrem Leid selbst schuld sind, nun aber der Gesellschaft auf der Tasche liegen. Was jedweder Grundlage entbehrt. Die Forschung kann viele gute Gründe für eine Substanzgebrauchsstörung bzw. eine Suchterkrankung nennen. Dieser ist jedoch keiner davon. Was nichts daran ändert, dass sich dieses Stigma bei vielen Menschen verfestigt hat.
Die Teilnehmenden werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Ich darf Marcel, Olli, Milan und Arbeitsanleiterin Sabine begleiten. Bereits kurze Zeit später sitzen wir in der U-Bahn, auf dem Weg zum Nollendorfplatz, dem Ausgangspunkt unserer Route. Die Stimmung wandelt sich. Die Teilnehmenden spüren aufrichtiges Interesse meinerseits und ich darf erste Fotos machen. Im weiteren Tagesverlauf werden sie immer offener über sich, ihre persönlichen Geschichten und Hintergründe berichten.
Eingesammelt werden auf der Route hauptsächlich Konsumhinterlassenschaften. Spritzen etwa, die in spezielle Abwurfbehälter eingeworfen werden, damit sich keine*r daran verletzten kann. In einem Quartier wie dem Kurfürstenkiez gehören aber auch benutzte Kondome dazu. Und auch zerbrochene Flaschen und Glasscherben sammeln sie ein, wenn sie nicht zu klein sind, um sie mit der Zange zu greifen. Durchschnittlich 40 Spritzen und mehr als 50 Kondome kommen so jede Woche zusammen. Die werden peinlich genau dokumentiert, damit für den Kostenträger nachvollziehbar ist, was die konkrete Maßnahme bringt.
Ihre Strecke führt sie bis zu sechs Kilometer durch Teile von Schöneberg und Mitte, vom U-Bahn-Viadukt in der Bülowstr. über die Elke-Lasker-Schüler-Str. bis hin zur Genthiner Str. und dem Magdeburger Platz. Dann weiter in die Potsdamer Straße und ihre Seitenarme. Auch auf Spielplätze. Um anschließend wieder in Schöneberg zu landen, in der Kurfürstenstr. und Frobenstraße, mitten hinein in die so genannten Hot Spots. Ein körperlich anstrengender Job, wie sich mir bald zeigt. Mit den Müllsäcken im Schlepptau und durch den permanenten Gebrauch der Greifzange tun mir am Ende des Einsatzes sogar die Unterarme weh.
Wenn im öffentlichen Diskurs mehr Wirksamkeit sozialer und öffentlich geförderter Projekte angemahnt wird – hier ist sie unmittelbar sichtbar. Am Ende des Einsatzes haben wir 10 Müllsäcke gefüllt, jeder einzelne voll bis oben hin. Sie werden sorgsam zugeschnürt und nach einem bestimmten Muster unter öffentlichen Mülleimern deponiert. Eine Kooperationsvereinbarung mit der BSR macht es möglich. Die öffentliche Stadtreinigung sammelt die Säcke dann ein.
Und was bringt der Einsatz in der „Fegeflotte“ nun den Teilnehmenden? Was motiviert sie dazu? Wenn ich sie danach frage, fallen die Antworten unterschiedlich aus. Von dem kleinen finanziellen Obolus bis hin zur körperlichen Aktivität ist alles dabei. Erstaunlich viele nehmen aber auch teil, um mit dem gängigen Bild des „Suchtkranken“ zu brechen, um zu zeigen: Wir sind nicht so wie ihr denkt. Wir wollen „was Nützliches“ tun, bringen uns aktiv in und für die Gemeinschaft ein.
Marcel und Olli sagen mir außerdem, dass ihnen die Einsätze dabei helfen, gesellschaftlich wieder Fuß zu fassen. Sie nennen das „einen ersten Schritt“. Und wirken dabei selbstbewusst und zuversichtlich. Und das völlig zu Recht.
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